Durch Europa ziehen erneut die altbekannten Bauherrenkarawanen. Von West bis Ost, von Nord bis Süd werden die Städte umgestaltet, ohne dass in einem umfangreicheren Ausmaß die Bevölkerung mitreden kann. In den großen Städten findet eine Verwandlung statt, die nachhaltig die Orte und deren Geschichte zerstört. Die Städte werden von gleichartigen Zweckbauten eingegrenzt, überwuchert und bedrängt, als sollte deren Individualität und Unterscheidbarkeit, deren historisches Gewachsen sein für immer vernichtet werden.
Architektur auf diese Weise dient nicht der Schaffung bzw. Neuinterpretation einer jeweiligen städtischen Identität, sondern verweigert sich schlicht einer Diskussion über ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Geld baut die Welt
Spekulanten, Investoren, Politiker und Beamte haben ganz offensichtlich eine Vorliebe für das Austauschbare. Doch Bauen ist ein öffentlicher Akt. Jedes Einkaufszentrum, jeder hochpreisige Wohnraum greift tief in gewachsene Strukturen ein.
Dies ist zur Zeit in Berlin ganz besonders deutlich sichtbar. Als noch immer erfahrbare Folgen der politischen Vorgänge des 20. Jahrhunderts verfügt die Stadt/das Land Berlin über einige Freiflächen, die tiefgründig historisch verankert sind und eine gewisse Einmaligkeit für sich beanspruchen können.
Luxus-Ghettos mit Folgen
In die jeweiligen Stadtbezirke werden architektonische Fremdkörper installiert, die einen standardisierten Luxus als erstrebenswert vermarkten sollen. Eigentumswohnungsbauprojekte, evetuell. auch mit einigen hochpreisigen Mietwohnungen verknüpft, sollen ihr Umfeld in den Schatten stellen.
Bauen ist ein öffentlicher Akt, der – selbstgefällig wie zur Zeit in Mode- massiv in die städtische Struktur eingreift. Ein Block mit hochpreisigen Eigentumswohnungen verändert die Infrastruktur der Nachbarschaft, indem auch dort preiswerte Wohn-und Geschäftsräume verschwinden werden. Selbst eine Familie, in der beide Elternteile voll erwerbstätig sind, muss bereits den größten Teil ihres Einkommens für das Wohnen aufwenden.
Rentner, Hilfs- und Unterstützungsbedürftige, z. B. behinderte oder pflegebedürftige Menschen werden aus der Innenstadt gedrängt. Berufe und Tätigkeiten, die nicht im wesentlichen auf Profitmaximierung orientiert sind, ernähren den Mieter nicht mehr und verschwinden ebenfalls aus den innerstädtischen Bezirken.
Und trotzdem oder besser: gerade deswegen wird mit hoher Symbolkraft gebaut. Berlin soll zu einem Konsum-, Touristen- und Pendlereldorado werden, zu einer Kulissenstadt. Und wer es bisher aus eigener Anschauung noch nicht erkannt hat, der möge doch mal eben an den Fassadenschwindel für das geplante Einkaufszentrum auf der Museumsinsel denken.
Wohn-Kultur und kulturelle Vielfalt
Stadtentwicklung und -planung ist Kulturpolitik. Es ist zwingend notwendig, Kriterien für architektonische Qualität, wie z.B. soziale und ökologische Nachhaltigkeit verbindlich festzulegen. Dies kann nur mit umfassender Beteiligung der Öffentlichkeit geschehen. Die derzeitige Umwandlung der Stadt ist aus politischer und ökonomischer Sicht desaströs. Die Geschichte wird weggeräumt und die Zukunft verbaut. Hoch differenzierte urbane Strukturen müssen weichen, um einer Monokultur Platz zu schaffen.
Kulissenschieberei und Fassadenschwindel geben keine Antworten auf die tatsächlich entscheidenden Fragen. Denn dafür ist die Meinung der Bürger*innen unabdingbar.