Seit Jahren zeigen wissenschaftliche Studien immer wieder, dass Jugendliche mit Migrationsgeschichte bei gleichen Leistungen mit schlechteren Schulempfehlungen rechnen müssen. Auf die schlechtere Schulempfehlung folgt eine geringere Chance, zu Vorstellungsgesprächen für Ausbildungsplätze eingeladen zu werden – bei sonst gleichen Noten wie ihre deutschen Mitschüler. Schafft es ein Migrant bis zum Studium und macht einen Abschluss, so wird es nicht besser. Die Personal-Entscheider gegen die Islamisierung des Arbeitsplatzes sitzen anscheinend in vielen Personalabteilungen.
„Wir sind eine sehr deutsche Firma“
Als ich mich um einen Ausbildungsplatz im IT-Bereich beworben habe, bekam ich auf Nachfrage nach dem Grund der Ablehnung von einem der Unternehmen diese Antwort. Ich bin nicht in Deutschland geboren, habe aber einen deutschen Namen und war einer der Besten meiner Klasse. Mein Geburtsort auf dem Lebenslauf hat zumindest in diesem Fall für eine negative Entscheidung ausgereicht. Mangels Alternative habe ich mit dem Abitur angefangen, anschließend zunächst auf Diplom Informatik studiert, um dann nach einem guten Abschluss noch einen sehr guten Master drauf zu setzen. Ich musste bis zu meinen Belastungsgrenzen gehen und darüber hinaus, um das zu schaffen. Ich hatte aber auch Glück, Menschen zu kennen, die an mich geglaubt haben und mich ermutigten, den steinigen Weg weiter zu gehen. Viele, die momentan in meiner damaligen Lage sind, haben dieses Glück nicht. Sie brauchen unsere Unterstützung und Vorbilder.
Vorbilder in Politik und Wirtschaft
Viele DAX Konzerne werden von Ausländern geleitet. Sie machen auf der ganzen Welt ihre Geschäfte und beschäftigen entsprechend auch Mitarbeiter aus der ganzen Welt. Mittelständler beschäftigen aber die meisten Arbeitnehmer in Deutschland und da ist das Bild anders. Jugendliche mit Migrationsgeschichte erleben sehr deutlich, dass sie auf dem Ausbildungsmarkt allein aufgrund ihres Namens oder Aussehens benachteiligt werden.
Warum sollte sich ein solcher Jugendlicher in der Schule überhaupt anstrengen? Fehlende Perspektiven führen zu fehlender Motivation, fehlende Anerkennung kratzt am Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die selbsterfüllende Prophezeiung wird zur Realität für Generationen.
Und die Politik? Auch bei den Hamburger Kandidaten für die kommende Bürgerschaftswahl dominieren die Eigenschaften: privilegiert, männlich, biodeutsch. Obwohl in Hamburg ca. 30 % der Bürger* mit Migrationsgeschichte leben, sind sie in keinem Bereich des öffentlichen Lebens entsprechend vertreten. Lehrer, Ärzte, Staatsanwälte, Richter, Beamte? Bundesländer wie Niedersachsen, die nur 3,2% Angestellte mit Migrationsgeschichte im Polizeidienst beschäftigen, senden als Staat das deutliche Signal an deutsche Migranten: Wir wollen euch nicht.
Hamburg bemüht sich seit 2006 in einigen Bereichen, immerhin. Obwohl Berlin erst 2010 dieses Thema entdeckt hat, ist es mit mittlerweile über 30% Beschäftigten mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst sehr viel weiter. Immer wieder klagen Politiker über integrationsunwillige Migranten und Parallelgesellschaften, ohne sich auch nur ansatzweise der integrationsunwilligen Strukturen in den eigenen Ministerien und dem öffentlichen Dienst allgemein bewusst zu sein. Sie schüren Ängste und Vorurteile mit dem Ergebnis, das Neonazis zu tausenden mit „besorgten Bürgern“ gegen alles Fremde Woche für Woche nicht nur in Dresden marschieren. Zeitgleich steigen die Übergriffe mit rassistischem Hintergrund rasant. Das zusehends wieder nicht mehr so weltoffene Deutschland ist dabei, seine Anziehungskraft für bestens ausgebildete, international gefragte, ausländische Fachkräfte zu verlieren, die unsere Sozialkassen jedes Jahr mit Milliarden Euro füllen. Selbst hier geborene Akademiker mit Migrationsgeschichte wandern immer öfter ins Ausland ab, weil sie dort willkommen geheißen werden. Auf diese Menschen sind wir dringend angewiesen. Wir müssen mehr tun!