ADN-ZB/Archiv Wohnungselend in Deutschland um 1919 In dieser Wohnung, die aus einer Stube und Küche bestand, lebten 11 Personen. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1983-0225-309 / CC BY-SA 3.0

Mit wem wollen wir wohnen? Ein Plädoyer

Es waren einmal Mietskasernen: dunkel, stickig, mit Podest-Toiletten, Ofenheizung und sehr vielen Menschen, die auf engstem Raum in schlichten Seitenflügeln und Hinterhäusern wohnten. Doch der „Pöbel“ betrat das Haus durch das gleiche verzierte Tor wie die Oberschicht. Sie sahen den gleichen Fassadenstuck wie die besser gestellten Bewohner des Vorderhauses. Reich und Arm wohnten Tür an Tür. Heute trennen sie Welten, auch geographisch.

Sanierter Altbau in BerlinFoto: Thomaswiki CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Ganze Stadtviertel wie Prenzlauer Berg in Berlin oder Mitte verkommen zu Luxus-Ghettos in denen die Bewohner den Realitätsschock des Bürgeramts verdauen, wenn sie im Fahrstuhl aus der Tiefgarage in ihr Dachgeschoss-Loft fahren. Sie freuen sich über steigende Immobilienpreise und Mieten weil es einen Wertzuwachs ihrer Eigentumswohnungen und Kapitalanlagen bedeutet. Wohl wissend, dass es den Nachbarn genau so geht.

Die Veränderung

Die Enge in den Hinterhöfen ist moderner, lichtdurfluteter Großzügigkeit gewichen. Die Menschen aus dem Hinterhof sind weit weg an den Stadtrand gewandert. Dort wo die grauen, eilig errichteten Hochhäuser stehen und viele gescheiterte Existenzen ein vorläufiges Zuhause gefunden haben. Denn selbst dort zu wohnen können sie sich immer weniger leisten. Die Einen denken darüber nach, wie sie einen möglichst großen Teil ihrer Kapitaleinnahmen an der spärlichen Steuer vorbei ins Ausland „retten“ können. Die Anderen machen sich Sorgen ob sie die Heizung noch etwas aufdrehen können oder es wegen der nächsten Nebenkostennachforderung wieder nur Dosensuppen gibt. Für manche wird Wohnen sogar zu einem Privileg.

Wenn das Elend weit weg ist, die Mühen des Alltags unsichtbar, ist es einfach Alle und Jeden, die finanziell schwächer sind als faul abzustempeln und sie für ihr Schicksal verantwortlich zu machen. Aus finanziell schwächeren werden „sozial Schwache“. Warum dem Bettler helfen, wenn man den Mitgliedsbeitrag für den Segelklub von der Steuer absetzen kann? Warum sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, wenn man die Solidarität der Gesellschaft nicht braucht und sich auch der Nachbar alles kaufen kann?

An den Stadtrand mussten aber auch die weichen, deren Kunst (fast) brotlos ist, aber das Viertel bereichert hat. Mit ihnen schließen Kneipen und werden durch Cafés ersetzt, weichen Second-Hand Läden Designer Boutiquen und Pubs werden zu Bio-Supermärkten. Die bröckelnden Fassaden verschwinden und mit ihnen die letzten wehrhaften Altmieter. Mit ihnen verschwinden aber auch die kreativen Freiräume und der bunte, alternative Charme, der einst diese Viertel so attraktiv gemacht hat. Während die neuen Bewohner in ihrem Luxus alt werden, zieht es ihre Kinder dorthin, wo die Party weiterläuft. Dort kaufen sie sich die erste Eigentumswohnung und der Kreislauf beginnt von Neuem.

Wohnen und leben lassen

Die Politik kann auf diesen Kreislauf einwirken und dabei selbst langfristig den Haushalt aufbessern. Statt stadteigene Grundstücke meistbietend zu verschleudern und damit auch Gestaltungsmöglichkeiten in der Zukunft zu verlieren, dürfen sie nur an stadteigene Genossenschaften verpachtet werden. Wohnen ist ein Grundrecht. In jedem neuen Wohngebäude muss sozialgebundener Wohnraum entstehen und nicht nur in separierten Plätzen eines Großprojektes als zum Beispiel bewohnte Lärmschutzwände entlang einer Bahnstrecke. Mietpreisgebundener Wohnraum darf auch nur von berechtigten Personen bewohnt werden. Die Kommunen müssen entsprechend kontrollieren und mittlerweile Besserverdienenden kündigen. Diversität, als das Zusammenwohnen unterschiedlichster Menschen wie Jung und Alt, Arm und Reich, Singles, Familien, Künstler, Denker und Banker ist am Ende das, was die Viertel unserer Städte lebendig hält.

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